Sexueller Missbrauch von Jugendlichen: Sexuelle Nötigung wenn das Opfer aus Angst vor Gewalteinwirkung auf Gegenwehr verzichtet – BGH hebt Verurteilung wegen Verjährung auf
Eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung unter Ausnutzen der schutzlosen Lage eines Opfers liegt vor, wenn dieses aus Angst vor Gewalteinwirkung auf Gegenwehr verzichtet. Weil ein 14-Jähriger bei der Vergewaltigung durch einen 30-jährigen die Gegenwehr aufgegeben hatte, hob der Bundesgerichtshof die Verurteilung in diesem Punkt auf (BGH, 1 StR 481/19 – 12. 02. 2020).
Zweimalige Vergewaltigung eines vierzehnjährigen Praktikanten
Ein Lagerarbeiter war für die zweifache Vergewaltigung eines 14-jährigen vom Landgericht Bamberg zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Die Vorfälle lagen bereits rund zehn Jahre zurück.
Der Mann hatte den Jugendlichen, der als Praktikant in derselben Lagerhalle tätig war, an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zum Arbeitsende mit Gewalt in einen dunklen Seitenraum gebracht. Auf einem Tisch in diesem Raum erzwang er ebenfalls unter Anwendung körperlicher Gewalt Oralverkehr und Analverkehr mit dem Opfer. Das rief vergeblich um Hilfe. Er versuchte zu entkommen, das gelang ihm jedoch nicht, weil der Angeklagte ihm körperlich überlegen war.
Das Landgericht sah den Tatbestand des § 177 Abs. 1. Nr. 1 Strafgesetzbuch (sexuelle Nötigung, Vergewaltigung) in der damals geltenden Fassung als erfüllt an: durch Gewalt erzwungene sexuelle Handlungen. Gleichzeitig war nach Ansicht des Landgerichts auch § 177 Abs. 1. Nr. 3 StGB verwirklicht: sexuelle Handlungen unter Ausnutzen der schutzlosen Lage eines Opfers. In Tateinheit mit der Vergewaltigung wurde der Täter zudem für sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F.) verurteilt.
BGH: Missbrauch von Jugendlichen verjährt. Kein Ausnutzen einer schutzlosen Lage
Der BGH sah einen in zwei Punkten fehlerhaften Schuldspruch. Er hob das Urteil deshalb auf und verwies die Strafsache zur erneuten Verhandlung ans Landgericht zurück. Die Neuverhandlung ergab eine reduzierte Haftstrafe in Höhe von fünf Jahren und drei Monaten.
Zum einen monierte der Bundesgerichtshof, dass der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen verjährt war. Die Verjährungsfrist für dieses Delikt beträgt fünf Jahre. Diese Frist war bereits abgelaufen, als das Opfer die Taten rund neun Jahre später anzeigte. Dass die Verjährung ruht, bis das Opfer 30 Jahre alt ist, galt damals für diesen Straftatbestand noch nicht.
Außerdem hob der BGH die Verurteilung wegen Vergewaltigung unter Ausnutzen einer schutzlosen Lage des Opfers auf. Voraussetzung dafür ist, dass das Opfer aus Angst vor Gewalt durch den Täter auf möglichen Widerstand verzichtet. Das Opfer war dem Täter körperlich unterlegen. Dass der Minderjährige seinen Widerstand aufgab, weil es seine Lage für schutzlos und Widerstand für aussichtslos hielt, hatte das Landgericht jedoch nicht festgestellt. Vielmehr erzwang der Angeklagte den Oral- und Analverkehr mit dem Vierzehnjährigen durch Gewalt.
An der Verurteilung gemäß § 177 Abs. 1. Nr. 1 StGB a. F. für Vergewaltigung durch mit Gewalt durchgesetzte sexuelle Handlungen rüttelte der BGH nicht.
Rechtsanwalt Strafverteidigung Dortmund – Fazit zu Vergewaltigung und Verjährung:
- Auch ein Landgericht kann bei der Berücksichtigung von Verjährungsfristen für Sexualstraftaten erheblich danebenliegen. Das zeigt der vorliegende Fall. Dass Strafurteile für Sexualdelikte aufgehoben werden, weil die Taten bereits verjährt sind, kommt auch an anderen Gerichten vor, auch am Dortmunder Landgericht. Dafür muss der Strafverteidiger allerdings Revision einlegen.
- Von sexueller Nötigung durch Ausnutzen einer schutzlosen Lage des Opfers können Strafrichter nur dann ausgehen, wenn sie feststellen, dass das Opfer auf möglichen Widerstand von vornherein verzichtet oder ihn aufgibt, und zwar aus Angst vor Gewalteinwirkung und weil es Widerstand gegen die sexuellen Handlungen aufgrund seiner schutzlosen Lage für aussichtslos hält. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, dann kommt eine Verurteilung aufgrund von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB a. F. beziehungsweise § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB in der aktuellen Fassung des Strafgesetzbuchs nicht in Betracht.
- Wesentlich an dieser Entscheidung ist, dass der BGH hier wieder einmal bekräftigt, dass es ausreicht, wenn das Opfer aus Furcht von grundsätzlich möglichem Widerstand absieht, weil es diesen für aussichtslos hält. Dies heißt, eine Nötigungshandlung seitens des Beschuldigten ist nicht erforderlich. Es reicht zur Erfüllung der Strafvorschrift des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB die rein subjektive Sicht des mutmaßlichen Geschädigten/der mutmaßlichen Geschädigten abzustellen.
Rechtsanwalt und Strafverteidiger Dieter Axmann aus Dortmund ist zugleich Fachanwalt für Strafrecht. Bereits in Hunderten erfolgreicher Verfahren hat er Mandanten gegen den Vorwurf von Sexualdelikten verteidigt und ist Experte im Sexualstrafrecht.
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